Protokolle des Feministischen Rats

Die Protokolle des Feministischen Rats sind keine neutralen Mitschriften, sondern Arbeitsdokumente: Sie halten fest, was in einer Sitzung zur Sprache kommt, welche Begriffe infrage gestellt werden und welche Punkte vorerst offen bleiben. Namen werden durch Codes ersetzt, Zeiten verschoben, bestimmte Stellen bewusst unleserlich gemacht. Am Ende vieler Protokolle stehen keine endgültigen Beschlüsse, sondern nächste Schritte: Was weiterverfolgt wird, was warten muss und was in die Chronik als zukünftiger Eintrag wandert.

Trans*Mitter Glitter & Klausur 2025 – Segmentprotokolle

Diese fünf Protokolle verfolgen eine Entwicklungslinie: vom ersten Auftauchen von Trans*Mitter Glitter (2018) über Verbot und Neustart (2020), internationale Resonanzen (2021) und Konsolidierung (2023) bis zum öffentlichen Teil der Klausur 2025. Sie zeigen, wie der Feministische Rat aus einer spekulativen Idee ein Werkzeug der Praxis macht.

2025 – Klausur – Öffentlicher Teil & Auswahl der Preisprojekte

Protokoll des öffentlichen Teils der Klausur des Feministischen Rats in der Medienwerkstatt Wien am 14. November 2025.

Ort: Medienwerkstatt Wien
Datum: 14. November 2025, öffentlicher Teil ab 18:00 Uhr
Anwesend: Gäste der Medienwerkstatt, Mitglieder des Feministischen Rats (intern codiert)

Beim Ankommen erhalten alle Besucher:innen von zwei Mitgliedern des Rats eine Karte aus dem Projekt „Ich zahle gerne Steuern für …“, ohne dass der weitere Verlauf erklärt wird.

  1. Begrüßung durch die Medienwerkstatt

Eine Vertreterin der Medienwerkstatt begrüßt die Anwesenden und betont, dass die Medienwerkstatt sich geehrt fühlt, vom Feministischen Rat als Ort der Klausur gewählt worden zu sein. Sie verweist auf die Geschichte der Medienwerkstatt als Ort politischer Medienarbeit: eine Stimme erheben mit den Mitteln der Medien, in den 1980er Jahren vor allem mit Video, Workshops und Schnittplätzen zur Selbstermächtigung.

  1. Einführung – „Universität von unten“

Im Anschluss erläutert ein Mitglied des Feministischen Rats, woran in der Klausur gearbeitet wurde: an der Frage, was eine „Universität von unten“ braucht und welche Ausschlüsse bestehende Universitäten produzieren – von Wissensausschlüssen bis zu Ausschlüssen von Personen und Körpern. Die Leitfrage: Wie kann eine Bildungsstruktur aussehen, die andere Erfahrungen und Lebensrealitäten zum Ausgangspunkt nimmt?

  1. Projekt zu einem Platz in Österreich

Der Rat stellt ein laufendes Projekt zu einem Platz in Österreich vor, der hier aus Schutzgründen nicht namentlich genannt wird. Es werden sechs Bilder gezeigt, die Wohnungs- und Raumausschnitte zeigen, die nicht eindeutig zuordenbar sind. Es wird erklärt, dass es sich um Räume handelt, in denen junge Frauen Mitte der 1990er Jahre unter kontrollierten Bedingungen gelebt haben – mit Verboten, Kontrolle und eingeschränkter Selbstbestimmung.

  1. Projekt „Ich zahle gerne Steuern für …“

Anschließend erläutert der Rat das Projekt „Ich zahle gerne Steuern für …“. Die Karten wurden bereits an verschiedenen Orten eingesetzt – unter anderem bei Ministerien, Finanzämtern und Buchhandlungen. Im Rahmen des öffentlichen Teils werden die Gäste gebeten, einige Karten vor Ort auszufüllen und weitere mitzunehmen und weiterzuverteilen. Die Frage nach öffentlicher Verantwortung, Umverteilung und gemeinsamen Ressourcen wird so in den Raum zurückgespielt.

  1. Auswahl der Preisprojekte

Der Rat führt die Auswahl der künftigen Preisprojekte fort. Insgesamt liegen 15 Nominierungen vor. Die Vorschläge werden vorgestellt; für einen Teil wurde bereits intern vorberaten. Für die verbleibenden Nominierungen wird das Publikum einbezogen: Die Gäste markieren, welche Projekte sie unterstützen. Die Entscheidungen werden sichtbar auf einer Tafel dokumentiert und anschließend von einem weiteren Ratsmitglied kontrolliert. Auf dieser Basis werden drei Preisprojekte festgehalten, die zu einem späteren Zeitpunkt den Preis erhalten sollen. Der Moment der Festlegung wird symbolisch mit einem „Großen Knall“ markiert. Eine formelle Preisverleihung findet an diesem Abend noch nicht statt.

  1. Einsicht in Dokumente und Gespräche

Im Anschluss haben die Gäste die Möglichkeit, die am Konferenztisch ausgelegten Dokumente (Unterlagen zur Klausur, Materialien zu den Projekten, Ausschnitte aus Protokollen und Chronik) einzusehen. Mitglieder des Rats stehen für Fragen zur Verfügung.

2023 – Protokoll Segment 4 – Konsolidierung, Trans*Mitter Glitter & Weg zur Klausur 2025

Auszug aus dem Protokoll | Feministischer Rat | Segment 4
Datum: XX.11.2023 (Ort geschwärzt)
Status: codiert; Einladung über individuelle Resonanzprotokolle. Kein fixer Treffpunkt – Segment ereignete sich als Bewegung.
Dauer: 4 h 18 min (diskontinuierlich, teils asynchron)
Aufzeichnung: fragmentarisch; Rekonstruktion über Echo-Archive.

Anwesend (Auszug):
Enteigner:in, Sabotageästhet:in, Kosmotroniker:in, Prozesssprenger:in, Zukunftsfiktionist:in, OpacityStrategist, Datenökolog:in, AutonomyWeaver, CommonsSteward

Hinweis:
Das vollständige Protokoll bleibt im analogen Archiv und dient der internen Sicherung. Online wird ein kuratierter Auszug dokumentiert.

TOP 1 – Rückblick auf das Verbot: Konsolidierung statt Rückzug

Der Rat liest die Jahre nach dem Verbot als Phase der Verdichtung:

– Das Verbot hat Strukturen sichtbar gemacht, die nie für den Rat gedacht waren.
– Wegfall von „angebotener Sichtbarkeit“ wird nicht als Verlust, sondern als Inventur verstanden.
– „Wir arbeiten weiter ohne Genehmigung, aber mit Verantwortung.“
– Irritation wird nicht als Endpunkt gelesen, sondern als Sensor: Der Rat richtet sich nicht an die Ordnung der Anderen aus, sondern beobachtet die eigene.

Notiz (Flipchart):
KEIN RÜCKZUG, SONDERN KONSOLIDIERUNG.

TOP 2 – Trans*Mitter Glitter: Erprobung & Fortschritt (Kurzfassung)

Berichte aus den Linien zur aktuellen Resonanz:

– Resonanzen werden nicht über direkte Beobachtung, sondern über Echos im Archiv wahrgenommen: Lichtmuster, Druckabfall, Spuren auf Tonspuren.
– Die Übertragungen sind fragmentarisch, aber im Ergebnis kohärent – das System justiert sich selbst.
– Es gibt keinen zentralen Sender mehr, nur Reaktionen. Das wird als Ziel verstanden: „Kein Signal, das wir verfolgen, sondern eines, das sich in uns einschreibt.“
– Beobachtbarkeit bedeutet nicht Kontrolle; der Rat bleibt bewusst sichtbar, aber nicht vollständig lesbar.

Beschluss (TOP 2):
Fortsetzung der Tests unter realen Bedingungen; Auswertung über das Echo-Archiv (interner Entwurf „v2“); keine öffentliche Kommunikation.

TOP 3 – Kommunikations- & Archivregeln

Zentraler Schwerpunkt ist die Frage: Was kommunizieren wir – und was zeichnen wir auf?

Leitlinien:

– „Kommunikation ist kuratiert. Wir teilen nicht alles, was wir wissen, weil nicht alles geteilt werden soll.“
– Wirkung ohne Preisgabe: keine Volltexte nach außen, keine personenbezogenen Daten.
– Eigene Archive dienen nicht der Bewahrung um der Bewahrung willen, sondern der Verortung von Praxis.
– Archiv-Regel: Es wird nur festgehalten, was für Praxis und Fürsorge nötig ist; Löschen ist eine Form der Selbstbestimmung.

Schutzregeln (Auszug):

– Keine Klarnamen ohne Einwilligung.
– Keine Zuweisung von Identität oder Pronomen von außen – Selbstbezeichnungen gelten.
– Keine Deadnames.
– Kurzlebige Signale gelten als ökologische Ereignisse: sichtbar, aber nicht überführbar.

Beschluss (TOP 3):
Archiv-Entwurf angenommen; selektives Löschen als Praxis wird erprobt.

Notiz:
SPRECHEN IN VIELEN FORMEN – SICHTBARKEIT FOLGT HALTUNG.

TOP 4 – Kooperation & Frames verschieben

Der Rat definiert Kriterien für Kooperationen:

– „Kooperation ist keine Zugehörigkeit, sondern eine Zeitvereinbarung.“
– Zusammenarbeit mit Institutionen ist projektbezogen, befristet, mit klarer Verantwortlichkeit und bewusstem Ende.
– Ziel ist, Deutungsrahmen zu verschieben, ohne in ihnen aufzugehen.

Toolkit (erste Praxisfassung):

– Frage umdrehen
– Norm benennen
– Bezugsrahmen offenlegen
– bewusst schließen

Beschluss (TOP 4):
Toolkit wird für interne Tests freigegeben.

Notiz:
VERNETZUNG MIT RAHMEN – klar, befristet, nachvollziehbar.

TOP 5 – Klausur & Öffnung (Weichenstellung Richtung 2025)

Diskussion zur Idee einer Klausur:

– Keine „Rückkehr“ in alte Formen, sondern Spiegel der bisherigen Praxis.
– Öffentlichkeit wird nicht als Publikum, sondern als Mitbeteiligung gedacht: Gespräche, Stimmen, Entscheidungen.
– „Öffentlichkeit ist Teil des Geschehens – nicht Zuschauer:in, sondern Ko-Produzent:innen.“

Bedingungen für eine Klausur:

– barrierefreier Zugang
– mehrsprachig (DE/EN)
– queer- und trans-affirmativ, nicht-binär einschließend
– sichtbare Safer-Space-Hinweise
– Co-Moderation zusammen mit Ko-Produzent:innen vor Ort

Beschluss (TOP 5):
Arbeitsgruppe „Klausur 2025“ wird eingesetzt (Ort, Form, Rahmen). Keine klassische Vorab-Ankündigung; Signale statt Claims.

Notiz:
ORT FOLGT AUFGABE – HALTUNG KLAR (Sorgfalt, Verantwortung, geteilte Zuständigkeit).

TOP 6 – Schluss / Übergang

Das Segment markiert eine Übergangsphase:

– „Wir sprechen in Formaten, die zu unserer Haltung passen. Wir bleiben stimmig.“
– Fragmente gelten als ausreichend für die Übertragung; der Rest ist Nachhall.
– Segment 4 wird geschlossen; Fortsetzung nach Codierung 05-Δ.

Notiz:
SEGMENT 4 = ÜBERGANG. KEIN ENDE.

2021 – Protokoll Segment 3 – Trans*Mitter Glitter & internationale Resonanzen

Auszug aus dem Protokoll | Feministischer Rat | Segment 3
Datum: XX.11.2021 (Ort geschwärzt)
Status: codiert; Einladung über individuelle Resonanzprotokolle. Kein fixer Treffpunkt – Segment ereignete sich als Bewegung.
Dauer: 3 h 59 min (diskontinuierlich, mit Unterbrechungen durch Außenimpulse)
Aufzeichnung: fragmentarisch, nicht linear; Zusammenführung über Echo-Archive.

Anwesend (Auszug):
Enteigner:in, Sabotageästhet:in, Kosmotroniker:in, Prozesssprenger:in, Zukunftsfiktionist:in, OpacityStrategist, Datenökolog:in, AutonomyWeaver, CommonsSteward

Hinweis:
Transparenz bedeutet hier geteilte Verantwortung, nicht vollständige Offenlegung. Das vollständige Protokoll bleibt im analogen Archiv.

TOP 1 – Kondition des Verbots (Kurzfassung)

Das Verbot wird nicht als Bruch, sondern als Filter gelesen:

– Wegfall bestimmter Infrastrukturen macht sichtbar, dass „angebotene Sichtbarkeit“ immer auch Kontrolle war.
– Weniger offizielle Bühnen, mehr Beweglichkeit: „Weniger Sichtbarkeit, mehr Wirkung.“
– Zerstreuung führt zu Strukturverdichtung: Wer bleibt, arbeitet bewusster.

Echo-Archiv meldet ein Glossar v1 mit den aus dem Bescheid extrahierten Clustern („abendländisch“, „Unübersichtlichkeit/Ambiguität“, „Einschleusung dissonanter Geschlechterkonzepte“, „Unvereinbarkeit/abnorm“).

Post (Flipchart):
VERBOT HAT NICHT GETRENNT – SONDERN GEFILTERT.

TOP 2 – Transmitter: Bericht zur Erprobung (Auszug)

Zukunftsfiktionist:in berichtet über die Erprobung von Trans*Mitter Glitter:

– Verschiedene Konfigurationen wurden getestet: gestisch, somatisch, fragmentiert.
– Eructatio (körperlicher Reflex als Unterbrechung von Reden) ist nicht stabil reproduzierbar; Reflexe entziehen sich Steuerung.
– In mehreren Situationen mit missachtenden, rassifizierenden oder sexistischer Sprache kommt es zu körperlichen Störungen, die Reden abbrechen lassen.

Zentrale Punkte:

– Impulse ohne adressierten Empfänger, nur Reaktionen; keine Rückverfolgung möglich.
– Störungen wurden in mehreren Regionen registriert; Netzwerke berichten: „Etwas war anders. Jemand war da.“
– Unvollständigkeit ist Absicht: Arbeiten mit Lücken, Lernen ohne fremde Daten.

Einigkeit:
Nicht die Information steht im Vordergrund, sondern die Verstimmung, die sie auslöst.

TOP 3 – Interventionen & Codierungen (Expert:innenberichte – Kurzfassung)

Zwei Expert:innen sind zugeschaltet:

– Expert:in Subversive Integrität:
Feministische Technologien sollen für die Nutzenden sprechen – auch ohne Publikum. In Laborumgebungen werden hegemoniale Reden simuliert; Eructatio wird als gezielte Unterbrechung geprüft. Ziel: Mechanismen patriarchaler Diskurse sichtbar machen.

– Expert:in Infrastrukturelle Resilienz:
Arbeit mit „peripheren Protokollen“ – kleinen Unregelmäßigkeiten in öffentlichen Netzwerken, die Macht als nicht reibungslos markiert.
Empfehlung: Verfahren gemeinsam evaluieren, Prioritäten bis zum nächsten Segment festlegen.

TOP 4 – Bericht zu Trans*Mitter Glitter (Auszug)

Zukunftsfiktionist:in berichtet über eine neue Resonanzspur:

– Am Referenzpunkt 9A-Sigma (intern codiert) wird ein Muster empfangen, das nicht als klare Akustik, sondern als diffuse Präsenz erscheint.
– Eine Sequenz fluktuierender Frequenzen ist nur in eigener Codierung abbildbar; Teile wirken kohärent, andere zerfallen in Fragmente.
– Interne Bezeichnung der Spur: Glitter – etwas, das sich nicht fixieren lässt und dennoch nachhallt.

Hinweise verdichten sich, dass andere Kollektive Resonanzen wahrnehmen, ohne sie dechiffrieren zu können. Vollständige Entschlüsselung ist nachrangig; wichtiger ist Erprobung und Nutzung.

TOP 5 – Board-Sitzung der SFS & Tina Modotti (Auszug)

Fünf Mitglieder nehmen an einer Sitzung der Society of Feministic Spiritism (SFS) teil. In einem Raum namens „Séance Space“ wird mit einem Glas und einem Foto von Tina Modotti gearbeitet. Während der Sitzung formt das Glas eine kurze Botschaft:

„Non attendete il consenso / Fate rumore.“

Der Rat liest dies als Bestätigung, dass die eigene Praxis Resonanzen erzeugt – nicht als Effekt bloßer Sichtbarkeit, sondern der Verfahren. Auftrag: Transmitter weiter ausbauen und mit Aufmerksamkeit und Achtsamkeit einsetzen.

TOP 6 – Internationale Presse & Resonanz (Kurzfassung)

In mehreren Sprachen erscheinen Berichte über:

– Aktionen des Rats (u. a. bei internationalen Institutionen, symbolpolitische Auftritte).
– Das Schreddern von Bargeld als Sichtbarmachung unbezahlter Sorgearbeit
(98 g geschredderte Banknoten als symbolischer Gegenwert eines mittleren Monatseinkommens).
– Öffentliche Formate wie Fuck-up Nights und Sexual Opt Out.

Die Reaktionen reichen von Sorge vor „realer politischer Handlungsmacht“ über den Versuch, die Praxis zu entpolitisieren, bis hin zu Instrumentalisierungsversuchen durch andere Akteur:innen. Alle Reaktionen erfolgen ohne Bestätigung durch den Rat.

TOP 7 – Strategische Bewertung & Ausblick

Beschluss:

– Sichtbarkeit wird gezielt gesteuert, nicht pauschal angenommen oder abgelehnt.
– Sammlung möglicher Kommunikationslinien und Allianzen wird vorbereitet.
– Echo-Archiv-Glossar v1 wird geprüft; ein öffentliches Kurz-Glossar v0.1 wird erwogen.

Weiteres Vorgehen:
Abstimmung im nächsten Treffen in KX-4; Fortschreibung der Arbeit an Trans*Mitter Glitter und den codierten Interventionen.

2020 – Protokoll Segment 2 – Verbot & Beginn von Trans*Mitter Glitter

Auszug aus dem Protokoll | Feministischer Rat | Segment 2
Datum: 2020 (genauer Zeitpunkt geschwärzt)
Status: Sitzung mit gültiger Einladung (Code: TRI:FEM-25). Keine externen Beobachter:innen zugelassen.
Dauer: 4 h 35 min
Aufzeichnung: nur analog. Vollständiges Protokoll im Archiv.

Anwesend (Auszug):
Enteigner:in, Sabotageästhet:in, Kosmotroniker:in, Prozesssprenger:in, Zukunftsfiktionist:in, OpacityStrategist, Datenökolog:in, AutonomyWeaver, CommonsSteward

Hinweis:
Transparenz bedeutet im Kontext des Rats geteilte Verantwortung, nicht vollständige Offenlegung. Das vollständige Protokoll dient dem internen Schutz und bleibt analog verwahrt.

TOP 1 – Begrüßung & Sicherheitslage (Kurzfassung)

Die Sitzung wird unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen eröffnet:
Handys und Netzzugänge sind deaktiviert, Protokollierung erfolgt verschlüsselt und lokal.
Auf dem Flipchart steht bereits beim Eintreffen der Mitglieder:
SPRACHE IST MACHTARCHITEKTUR.

Die Codes der Anwesenden werden bestätigt; die Sitzung ist beschlussfähig.

TOP 2 – Verlesung und Lesart des Verbotsbescheids (Auszug)

Sabotageästhet:in verliest zentrale Passagen des Bescheids, in dem dem Feministischen Rat u. a. „anhaltende Missachtung des abendländischen Wertekanons“, „Unübersichtlichkeit“ und „Einschleusung dissonanter Geschlechterkonzepte“ vorgeworfen werden. Begriffe wie „Sexual Opt Out“ und „Fuck-up Nights“ erscheinen im Bescheid als Belege.

Der Rat liest den Bescheid nicht als Wahrheit, sondern als Kontrolldokument:

– „Abendländisch“ wird als Code identifiziert: Traditionsverweis, der Universalität behauptet und Zugriff legitimiert.
– „Unübersichtlichkeit“ wird im Bescheid als Vorwurf formuliert, vom Rat jedoch als Pluralität und Komplexitätskompetenz gelesen.
– „Einschleusung dissonanter Geschlechterkonzepte“ markiert die Angst vor Vielfalt, die sich nicht in binäre Kategorien fügen lässt.
– Transparenz im Sinne des Bescheids bedeutet Klassifizierung und Zugriff; der Rat unterscheidet dies von eigener Lesbarkeit ohne Offenlegung.

Zentrale Gegenpositionen (Auszug):

– „Wir destabilisieren nicht. Wir machen sichtbar, wo es längst brüchig ist.“
– „Ihre Transparenz ist nicht unsere Offenheit.“
– „Wir archivieren für uns – nicht für ihre Statistik.“
– „Das Schreiben ist voller Spiegelwörter – Kontrolle über die Grammatik des Dissenses.“

Beschluss (TOP 2):
Der Bescheid wird als Kontrolldokument gespiegelt und intern annotiert. Zentrale Begriffe und Codes (u. a. „abendländisch“, „Unübersichtlichkeit“, „Einschleusung“, „abnorm“) werden im Echo-Archiv gemappt und in folgenden Segmenten weiterbearbeitet.

Randnotiz (Flipchart):
WIR DESTABILISIEREN NICHT – WIR MACHEN SICHTBAR.

TOP 3 – Entwicklung eines Kommunikationsmittels (Anfang von Trans*Mitter Glitter)

Aus der Analyse des Verbots entsteht die Frage nach Kommunikationsformen, die sich der Kontrollgrammatik entziehen:

– Nicht noch ein Tool innerhalb ihrer Protokollsprache
– Kein Übertragungssystem im klassischen Sinn, sondern Resonanz und Irritation
– Kein fixer Kanal, keine eindeutige Adresse, keine verwertbare Datenspur

Diskussion (Auszug):

– „Wir brauchen ein Mittel außerhalb ihrer Kontrollgrammatik. Etwas, das durch die Ritzen spricht.“
– „Kein Übertragen – ein Auftauchen.“
– „Wir senden keinen Inhalt. Wir erzeugen Irritation.“
– „Ein Moment des Stockens – wir sind nicht im Text, wir sind im Nerv.“

Erste Kontur des Projekts:

– Arbeitstitel: Trans*Mitter Glitter
– Kein technisch klar definiertes System, sondern feministische Strategie
– Impulse statt Botschaften; Resonanz statt Sendung
– Körperliche Reaktionen (z. B. stockende Rede, nicht klassifizierbare Störung) als Zeichen der Irritation hegemonialer Ordnung

Randnotiz:
TRANSMITTER ≠ TRANSMISSION. ABWEICHUNG ≠ ABWESENHEIT.

Beschluss (TOP 3/4):
Die Entwicklung eines alternativen, nicht-invasiven Kommunikationssystems unter dem Arbeitstitel „Trans*Mitter Glitter“ wird weiterverfolgt. Zuständig: T:NOVA.3 und beteiligte Mitglieder.
Es wird ausdrücklich festgehalten, dass sich dieses System bewusst jenseits etablierter technischer, diskursiver und institutioneller Logiken bewegen soll.

TOP 5 – Kollektive Beobachtungen & codierte Interventionen (Kurzfassung)

Unter TOP 5 werden Beobachtungen aus unterschiedlichen Kontexten gesammelt (Ausgrenzung queerer Körper, Angriffe auf Migrant:innen und arm gemachte Menschen, Einschränkung reproduktiver Rechte, digitale Überwachung, Aneignung feministischer Sprache durch autoritäre Institutionen).

Für mehrere Fälle werden codierte Reaktionen vereinbart:

– Codierung 7B – lokale Netzwerke, Monitoring, Kurzbericht + Risikoabschätzung
– Codierung GL:SP/22 – Sichtbarmachung, Material sichern, juristische Beobachtung anstoßen
– Kooperation mit bestehenden Netzwerken (u. a. zu reproduktiven Rechten)
– Entwicklung eines Gegen-Narrativ-Toolkits gegen die Vereinnahmung feministischer Sprache

Abschlussvermerk

Segment 2 wird durch Enteigner:in geschlossen.
Die Mitglieder verlassen den Raum einzeln, ohne festgelegte Reihenfolge.
Das Protokoll wird analog verwahrt, Fortschritte zu Trans*Mitter Glitter und codierten Interventionen werden in Segment 3 berichtet.

2018 – Protokoll Segment 1 – Ketteninspiration, Reanalogisierung, neue Formate

Auszug aus dem Protokoll | Feministischer Rat | Segment 1
Datum: 2018 (genauer Zeitpunkt geschwärzt)

Status: Sitzung mit gültiger Einladung (Code: TRI:FEM-24). Keine externen Beobachter:innen zugelassen.
Anwesend: Enteigner:in, Sabotageästhet:in, Kosmotroniker:in, Prozesssprenger:in, Zukunftsfiktionist:in, OpacityStrategist, Datenökolog:in, AutonomyWeaver, CommonsSteward
Dauer: 3 h 55 min
Aufzeichnung: Nur analog. Protokollierung erfolgt lokal.

Die Sitzung dokumentiert laufende Aktiva und die Weiterentwicklung gemeinsamer Methoden.

Struktur / Schwerpunkte

– TOP 1 – Begrüßung & gemeinsame Erinnerung („Knall“ als Auftrag)
– TOP 2 – Bericht zu Ketteninspiration
– TOP 3 – Reanalogisierung des Archivs
– TOP 4 – Debugging dominanten Wissens
– TOP 5 – Entwicklung neuer Formate („Sexual Opt Out“, „Fuck-up Nights“, „Fuck-up Riot“, „Radical Glitch“)
– TOP 6 – Erprobung neuer Codierungsmethoden
– TOP 7 – Berichte & Abschluss

TOP 1 – Aus dem Knall heraus handeln (Auszug)

Sabotageästhet:in eröffnet die Sitzung mit der Erinnerung an den Knall als Ausgangspunkt:
Wissen, Handlung und Sprache sollen aus hierarchischen Ordnungen herausgelöst und in offenere Gefüge überführt werden. Die Sitzung dient der Frage, was aus diesem Auftrag geworden ist – und wie die Aktiva weiterentwickelt werden.

Kosmotroniker:in formuliert:
„Sprache ist Machtarchitektur: Sie ordnet das Sagbare und markiert Abweichung. Ketteninspiration irritiert diese Architektur – besonders dort, wo sie institutionelle Texte, politische Erklärungen oder normative Programme durchdringt.“

Am Flipchart wird eine fragmentierende Intervention erprobt:

  1. Zerlegen offizieller Formulierungen
    – „Wir laden alle Menschen ein.“
    – „Aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben.“
    – „Ihre Ressourcen gewinnbringend einzusetzen.“
  2. Verdrehen / Ironisieren
    – „Wir laden alle ein – sofern sie schon dazugehören.“
    – „Teilhabe, die sich selbst genügt.“
    – „Ressourcen, die sich rechnen müssen.“
  3. Kommentieren
    – „Alle heißt nicht alle.“
    – „Teilhabe heißt Anpassung an Normen.“

Effekt:
Die Intervention legt frei, wie Teilhabe-Rhetorik Marginalisierung überdeckt und scheinbare Inklusivität stabilisiert.

Beschluss (TOP 1):
Ketteninspiration wird als strategische Praxis fortgeführt. Erste Pilotkontexte: Förderanträge, Pressemitteilungen zu Migration, Bildungskampagnen.
Nächstes: Drei Kurz-Dossiers (je 1–2 Seiten) mit Fragmentierungsbeispielen bis zur nächsten Sitzung.

TOP 2–6 – Zusammenfassung

TOP 2 – Ketteninspiration
– Laufende Module, positive Rückmeldungen.
– Weitere Kontexte identifiziert.
– Nächstes: Sammlung konkreter Texte (je Kontext 5–10 Beispiele), Annotationsschema finalisieren.

TOP 3 – Reanalogisierung des Archivs
– Reanalogisierung wird als politische Praxis verstanden: digitale Bestände selbstbestimmt sichern, verschieben oder bewusst flüchtig halten.
– Arbeitsgruppe „Reanalogisierung/Archiv-Neuordnung“ eingesetzt (3–5 Personen).
– Nächstes: Kriterienentwurf + Materialliste (Papier/Ton/Textil/Hybrid).

TOP 4 – Debugging dominanten Wissens
– Dominantes Wissen wird als „epistemische Gewalt“ und inszenierte Normalität beschrieben.
– Ziel: Werkzeugkasten „Debugging“ (Checkliste + zwei digitale Taktiken, z. B. Glitch-Strategien, Metadaten-Überladung).
– Nächstes: Zwei Pilotanalysen (Text/Video) und „Lessons Learned“ bis zur nächsten Sitzung.

TOP 5 – Entwicklung neuer Formate
– Arbeitsrahmen für vier Formate festgelegt:
Sexual Opt Out · Fuck-up Nights · Fuck-up Riot · Radical Glitch
– Ziel: Räume für Nein-Sagen, für Scheitern als Widerstand, für Störung und Glitch als feministische Praxis.
– Nächstes: Je Format 1-Pager (Ziel, Setting, Risiken, Schutz), inkl. inklusiver Sprache & Safety-Hinweisen.

TOP 6 – Erprobung neuer Codierungsmethoden
– Ideensammlung: textile Codes, multisensorische Resonanzräume, alternative Speicher- und Kommunikationsformen.
– Nächstes: Zwei Prototypen (Textilcode, Resonanzraum) in sicheren Umgebungen testen.

TOP 7 – Berichte & Abschluss (Auszug)

Bericht zur Beteiligung am Frauenvolksbegehren 2018:
Mitglieder des Rats treten maskiert auf; Masken markieren kollektive Identität und verweigern individuelle Zuschreibungen wie Geschlecht, Herkunft oder Status. Medienanfragen werden umgelenkt – statt klassischer Statements wird der „Kohlkopf“ als Gesprächsanlass genutzt, um Gesprächsordnungen zu verschieben und politische Symbolik zu öffnen.

Abschluss:
Die Sitzung wird von Sabotageästhet:in geschlossen. Nächste Schritte (Dossiers, Kriterienkatalog, Werkzeugkasten, 1-Pager, Prototypen) werden intern vorbereitet.

Verbot & Weiterarbeiten

Der Feministische Rat wurde 2020 offiziell verboten. Begründet wurde das mit angeblicher Destabilisierung von Ordnung, Sprache und Zuständigkeiten. In unseren Sitzungen bearbeiten wir dieses Verbot nicht als Unfall, sondern als Symptom: Wir lesen Verbotsbriefe wie Lehrmaterial, zerlegen ihre Begriffe, analysieren ihre Drohlogik.

Statt den Betrieb einzustellen, verschieben wir ihn: Treffen werden verlagert, Zugänge codiert, Dokumente fragmentiert. Sichtbarkeit ohne Personalisierung, Arbeit im Untergrund, doppelte Buchführung zwischen offizieller und inoffizieller Zeitachse – das sind die Formen, in denen der Rat weiterarbeitet.

Die Protokolle in diesem Kapitel halten fest, wie aus dem Verbot eine weitere Arbeitsbedingung wird. Sie dokumentieren Strategien, Brüche und blinde Flecken. Es wird protokolliert, nicht angeboten.

Entwürfe für eine andere Universität (Arbeitstitel: „Universität von unten“)

Der Feministische Rat arbeitet an Entwürfen für eine andere Universität, die nicht gegründet, sondern praktiziert wird. Wir nennen das vorläufig „Universität von unten“ nennen. Gemeint ist keine neue Elite-Universität, sondern eine Praxis: Wir benutzen vorhandene Institutionen – Hochschulen, Kulturhäuser, Plätze – als Versuchsanordnungen. Das sogenannte vorhandene Wissen darin ist für uns kein Vorbild, sondern Material: Es wird gegengelesen, umcodiert, teilweise verlernt.

In unseren Sitzungen zerlegen wir die Routinen der Universität: Aufnahmeverfahren, Prüfungsformate, Leistungslogiken, Herrensprache. Wir schreiben Tagesordnungen um, verschieben Zuständigkeiten und verknüpfen Protokolle mit Aktionen im öffentlichen Raum. In den bisher veröffentlichten Protokollen taucht diese „Universität von unten“ vor allem in Segment 4 (2023) und im Protokoll der Klausur 2025 auf.

Die Protokolle, die noch folgen, halten diese Arbeit genauer fest: Entscheidungen, Streit, Umwege, blinde Flecken. Sie sind Werkzeuge für unsere weitere Praxis, keine Abschlussberichte. Es wird protokolliert, nicht angeboten.